Vor einigen Tagen hat Pfarrerin Carola Scherf auf Twitter einen Post geschrieben, der mich seitdem nicht mehr loslässt – und der mich mitten ins Herz traf:
„Guten Morgen! Ich wünsche Euch heute die Gabe, Türen im Innern zu öffnen: Für Nähe, die auch über Distanz das Herz erreicht. Für das „Ja“ dazu, was andere Euch schenken, wenn Ihr es zulasst. Für die Schwäche des Herzens, auf Liebe angewiesen zu sein. Macht auf, und es wird wahr!“ schrieb Carola dort. *
Nun mag es nicht jede/r verstehen, dass man es als Schwäche empfinden kann, Liebe zu brauchen. Und dass es die größte Angst eines Menschen sein kann, zu lieben.
Doch wer wie ich aufgewachsen ist, in einem Umfeld von Hass und Gewalt, psychischem und sexuellem Missbrauch, der weiß, wie hart daran auch nach Jahrzehnten noch zu knabbern ist.
Es gibt Zeiten, Tage, Momente, da sehe ich es tatsächlich nach wie vor als meine größte Schwäche an, Liebe zu brauchen. Da will ich das nicht brauchen, was doch zum Leben jedes Menschen dazugehört. Weil ich lieber stark sein will und keine Schwäche haben, zeigen will. Weil ich mich wehre gegen das brauchen von etwas, was mir so sehr verwehrt wurde in den ersten 18 Jahren meines Lebens.
Und mit der Schwäche, Liebe zu brauchen, geht sie fest Hand in Hand, die Angst zu lieben. Diese Angst hat mich schon so oft wegrennen lassen, wie oft, habe ich nicht gezählt. Von Freunden, von Menschen, die mir nur Gutes wollten, von möglichen Beziehungspartnerinnen. Hin zu Menschen, die mir nichts Gutes wollten, zu falschen Freunden, und Beziehungen, die mich immer wieder in den Abgrund gerissen haben.
Ich habe leider gelernt, in meiner Kindheit und Jugend in dieser Hölle, meine Gefühle abzustellen. Wenn ich merke, dass jemand anfängt, mir mehr zu bedeuten, egal auf welcher emotionalen Ebene, beginnt mitunter nach wie vor dieser automatische Mechanismus, dass ich meine Gefühle auf kalt stelle und dann nichts mehr empfinde, oder einfach nur Kälte.
Viele viele Jahre habe ich immer wieder dagegen angekämpft. Es ist besser geworden mit jedem Stück Heilung, das Gott in mein so sehr vernarbtes Herz gebracht hat. Und anders als früher lasse ich sie nicht mehr lange zu, diese Kälte in mir. Ich wehre mich dagegen, bis ich wieder etwas empfinde, manchmal dauert es Minuten, manchmal Stunden, manchmal auch länger.
Doch am Ende ist es immer Gott, der mein Herz wieder vom Eis befreit und der mit Seiner Liebe Ja sagt zu mir. Zu den tiefen Verletzungen von einst. Zu dem Leben, das ich wegen dieser Verletzungen gelebt habe. Der mir vergibt da, wo ich wegen der Eiseskälte in mir andere Menschen von mir gestoßen habe und weggerannt bin.
Dieser Tweet von Carola hat irgendetwas in mir bewegt. In einer Predigt, die ich 2018 gehört habe, ging es um das Rettungsboot, das wir Christen für die bauen sollen, die hungern und dürsten nach Liebe und Leben. Und einen Satz daraus werde ich nie mehr vergessen: „Was einst unsere größte Schwäche war, ist nun zu unserer größten Stärke geworden.“
Und das will ich leben. Die größte Schwäche meines Herzens, Liebe zu brauchen, meine größte Angst, zu lieben. Das will ich in Gottes Hand legen, mit dem Vertrauen darauf, dass Er etwas Gutes damit und daraus machen wird.
So viel Heilung, wie ich in all den Jahren erleben durfte, von jemandem, der total kaputt und von Hass und Sucht zerfressen war, hin zu einem Menschen, der seelisch weitestgehend stabil ist und ein Herz von Gott geschenkt bekommt hat, das manchmal einen Ozean voller Liebe in sich trägt. So wird Gott auch das nehmen und mit Seinen liebenden Händen etwas daraus formen, was weit mehr als nur mich berührt und bewegt.
* Anmerkung: Aufgrund der Datenschutz-Einstellungen von Worte-haben.de binde ich den Tweet von Carola nicht ein. Ihr findet den Tweet, und ihr Profil, jedoch über diesen Link.
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